Mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch des isländischen
Vulkans unter dem Eyjafjallajökull (die grobe
Aussprache lautet "ääj-ja-fjatt-la-jöch-küt-ll", wobei
das letzte "ll" ein stimmloses Ausatmen ist, siehe dazu
http://www.belleslettres.eu/artikel/eyjafjallajokull-aussprache.php)
steigt noch immer heißer Dampf aus der Eruptionsspalte
des ersten Ausbruchs, wie wir uns selbst überzeugen
konnten. Die Caldera des Vulkangipfels liegt unter dem
Eis des Gletschers, der mit 1666 Meter seinen höchsten
Punkt erreicht. Bereits vergangenes Jahr war ich
erstaunt darüber, dass es Fotos aus der unmittelbaren
Nähe des Ausbruchs gab. Das ist allerdings gar nicht so
verwunderlich, denn die erste Eruption öffnete eine
Spalte direkt am Wanderweg, der vom Gletschertal
Þórsmörk (sprich Thorsmörk mit englischen „Th“) zum
Wasserfall Skógafoss (Skogarfoss) führt. Die beiden
Krater der ersten Eruption vom März 2010 werden deshalb
nach dem Pass, an dem sie liegen, auch
Fimmvörðuháls-Krater genannt, ein Wort, das allerdings
wahrscheinlich nur Isländer aussprechen können. Die
zweite Eruption ereignete sich übrigens im
Gipfelbereich, einer für den normalen Bergwanderer
derzeit noch unzugänglichen Region -
Orientierungskarte.
Als „Vulkanfans“ (wir waren schon auf dem Stromboli, dem
Ätna-Gipfel, auf Vulcano und bereits 2003 einmal in
Island) wollten wir dem Vulkan, der im Frühjahr 2010 den
europäischen Flugverkehr zeitweise beinahe zum Erliegen
brachte, einen Besuch abstatten. Wie eingangs erwähnt,
gibt es einen seit Jahren bestehenden Wanderweg, der
direkt am Krater vorbeiführt. Der Aufstieg bis zur
Eruptionsspalte ist eine mittelschwere Bergwanderung,
bei der zwei kleine Kletterpassagen
(Seil-/Kettensicherung), ein etwas ausgesetzter Grat und
einige hängende Schneefelder zu überwinden sind. Vom
Gletschertal Þórsmörk aus sind etwa 800 Höhenmeter zu
bewältigen (Passhöhe 1067 m). Man sollte etwa 3 Stunden
für den Aufstieg und 2,5 Stunden für den Rückweg
einplanen. Das klingt alles nicht so problematisch. Ist
es auch nicht, wenn das Wetter mitspielt und man zum
Beginn der Wanderung gelangt. Und gerade dies stellte
sich beinahe als größtes Abenteuer heraus. Wir starten
zu unserer Tour am 1. Juli 2011. Wir hatten uns einen
isländischen Guide „gemietet“, der uns mit dem
Superjeep ins Gletschertal
(Bilder hier) bringen sollte. Mit dabei noch eine
Kanadierin, was den Unterhaltungswert für den Guide
steigerte, denn er sprach kein Wort deutsch und wir
nicht so gut englisch, dass eine fließende Unterhaltung
möglich gewesen wäre. Von Reykjavik aus sind es knapp
130 km bis zum Abzweig ins Gletschertal, das heißt knapp
zwei Stunden Fahrzeit mit der Spezialkonstruktion eines
Jeeps (an serienmäßige Geländewagen werden LKW- oder
Traktor-Reifen an speziell gefertigte Fahrwerke
montiert). Den Wasserfall Seljalandsfoss lassen wir bei
der Einfahrt ins Tal zunächst rechts unbeachtet. Hier
wollen wir bei der Rückfahrt anhalten. Wir werden dazu
gezwungen sein, aber das können wir jetzt noch nicht
wissen. Bereits 2003 waren wir ins Þórsmörk gefahren.
Wir trauen unseren Augen kaum. Der Vulkanausbruch hat
alles völlig verändert. Eine dicke Schicht Asche bedeckt
den Taleingang. Die ehemalige Piste musste erneuert
werden, ein Damm wurde aufgeschüttet. Hatten wir vor
acht Jahren vielleicht ein halbes Dutzend Wasserläufe zu
furten, werden es jetzt 25 sein! Auf der Rückfahrt
versuchte ich zu zählen. Es sind wahrscheinlich sogar
mehr. Einige Wasserläufe sind zeitweise so tief, dass
man mit einem normalen Geländewagen nicht durchfahren
kann.
Der Startpunkt unserer Wanderung liegt am Ende des
Gletschertales, die Länge der Fahrstrecke im Tal beträgt
über 20 Kilometer. Wer das alles zu Fuß zurücklegen
will, benötigt also mindesten 2 Tage. Langsam schaukelt
unser Superjeep die abgesteckte Schotterpiste ins Tal
hinein. Manchmal stehen die Markierungsstangen direkt im
Wasser. Wir müssen uns eine eigene Fahrspur suchen.
Rechts sehen wir die gewaltige Gletscherzunge des
Gígjökulls, eines Talgletschers des Eyjafjallajökulls.
Ein Gletscherlauf am Gígjökull nach dem Vulkanausbruch
2010 verursachte die starken Geröllablagerungen im
Þórsmörk, die das Tal gegenüber unseres Besuchs vor acht
Jahren so stark veränderten. Schließlich
gelangen wir zu unserem Parkplatz nahe der Hütte Basar.
Hier liegt ein beliebter Campingplatz der Isländer - also
der isländischen Superjeep-Besitzer. Wir staunen zum
zweiten Mal. Direkt vor uns liegt ein Birkenwald.
Ausgerechnet hier! In Island wurden bereits zu
Wikingerzeiten beinahe alle Bäume gerodet. Seit Jahren
bemüht man sich um die Aufforstung. Und gerade in diesem
einsamen und rauen Gebirgstal finden wir ein kleines
Waldgebiet, im Schatten hoher Felswände, verschont von
der Aschewolke des Vulkans. Wir binden unsere
Wanderschuhe fester, nehmen jeder einen Klettergurt von
unserm Guide (nur zur Sicherheit, wie er sagt, wir
werden ihn auch nur spazieren tragen) und lesen die
Informationen auf der großen Tafel am Beginn des
Aufstiegs. Es geht um das Verhalten bei einem
Vulkanausbruch. Schließlich liegt nur etwa 15 km vom
Eyjafjallajökull entfernt unter dem Eis des Gletschers
Mýrdalsjökull der als viel gefährlicher eingestufte
Vulkan Katla, auf dessen Ausbruch sich die Isländer
vorbereiten. Viele Experten glaubten, dass die Katla
unmittelbar nach dem Eyjafjallajökull ausbrechen werde.
Was bedeutet aber geologisch gesehen „unmittelbar
danach“? Kurz bevor ich damit anfing, diesen Bericht zu
schreiben, gab es wahrscheinlich einen ersten kleinen
Ausbruch des Vulkans, jedenfalls hat ein Gletscherlauf
aus dem Mýrdalsjökull eine Brücke an der Ringstraße
beschädigt.
Unser
Guide informiert uns vor dem Start der Wanderung noch über
die aktuelle Wetterprognose, die er per Funk von seinem
Büro erhielt. Am Nachmittag soll starker Regen
aufziehen.
Na dann zügig losgegangen
(Bilder hier). Zunächst scheint
die Sonne und wir kommen gewaltig ins Schwitzen. Nach
einigen Minuten gelangen wir zum „Catwalk“, wie ihn
unser Guide bezeichnet. Der Gratweg erschien uns aber
wenig furchteinflößend, auch unsere kanadische
Begleiterin meistere die ausgesetzte Strecke ohne
Sicherung. Schnell gewinnen wir an Höhe. Eine kleine
Kletterstelle ist seilgesichert und wird schnell
überwunden. Wir erreichen nach etwas mehr als einer
Stunde das erste kleine Schneefeld und dann ein
Hochplateau. Es handelt sich um den Plateauberg
Morinsheiði (Morinsheithi). Vom etwa 800 m hoch
gelegenen
Aussichtberg (Bilder hier) entstanden viele Fotos des
Vulkanausbruchs von 2010, zum Beispiel
http://macbaen.com/lava-falls-at-morinsheidi-fimmvorduhals
oder http://picasaweb.google.com/StefanBirgisson/MorinsheiI01April2010#.
Direkt unter uns sehen wir den breiten schwarzen und
noch nicht ganz erkalteten Lavastrom. An einigen Stellen
steigt Dampf auf. Wegen der großen Wärme bildeten sich
Wasserfälle, die das Eis des Gletschers zu Tal bringen
und wahrscheinlich die Ursache für die vielen
Wasserläufe im Þórsmörk sind. Zeit für eine Rast.
Die Wolkendecke über uns verdichtet sich. Ein eisiger
Wind und einzelne Regentropfen sind unangenehme
Begleiterscheinungen des weiteren Aufstiegs. Es geht
über Schneefelder, eine Passage am Felsen ist
kettengesichert. Gern hätte ich jetzt einen
Trekkingstock, auf den ich wegen der Handhabung der
Fotoausrüstung verzichtete. Es geht aber auch so, der
guten Schuhe sei Dank. Unvermittelt taucht plötzlich vor
uns der 2010 entstandene Vulkankegel auf. Unser
isländischer Guide mahnt zur Vorsicht. Wir sollen nur
kurz neben der Eruptionsspalte stehen bleiben und gleich
wieder absteigen. Und auf jeden Fall immer die mit
gelben Stangen abgesteckte Route benutzen. Neben der
Route sehen wir immer wieder Stellen, an denen die dünne
Lavadecke eingebrochen ist. Wenige Minuten später stehen
wir auf dem
Gipfel (Bilder hier). Neben uns dampft es aus der immer
noch etwa 200 Meter langen geöffneten Eruptionsspalte.
Den unangenehmen Schwefelgeruch kennen wir von Vulcano.
Schnell drei Fotos geschossen und eine kurze Filmsequenz
gedreht, der Guide fordert mich schon zum Abstieg auf.
Von unten schauen wir uns das Ganze nochmals in Ruhe an.
Es geht den gleichen Weg zurück. Etwas Bange ist mir vor
den teilweise recht abschüssigen Schneefeldern. Da der
Schnee aber jetzt im Sommer nicht allzu hart gefroren
ist, sinken wir durch unser Eigengewicht tief genug ein.
Es macht sogar Spaß, auf diese Weise recht schnell
wieder Höhe zu verlieren. Weniger Spaß macht es wohl
unserer kanadischen Freundin, die nur in Halbschuhen
unterwegs ist. Als wir die Hochfläche auf dem
Morinsheiði (Morinsheithi) erreichen, bildet sich direkt
vor uns ein herrlicher Regenbogen. Es hat immer noch
nicht begonnen zu regnen, von einzelnen Tropfen einmal
abgesehen. Gerade als wir begeistert den
Regenbogen (Bilder hier) betrachten, geht ein Funkspruch bei unserm Guide ein. Er
wird sichtlich unruhig und sagt dann „Guys let’s go,
heavy rain is coming“. Sein Kollege, der gerade mit
einer Gruppe auf dem Solheimajökull, einem Talgletscher
des Mýrdalsjökull unterwegs ist, hatte die Meldung
geschickt. Also Luftlinie vielleicht 20 Kilometer
entfernt schüttete es gerade wie aus Kannen. Wir wollten
wenigstens noch unseren „Catwalk“ im Trockenen
bewältigen – und kommen ohne Regen bis ins Tal zu
unserem Jeep.
Jetzt kann uns ja nichts mehr passieren. Aber: Man
soll den Nachmittag nicht vor dem Abend loben (oder so
ähnlich). Zunächst schaukeln wir über die Piste und
furten die Wasserläufe bis zur eingangs erwähnten
Gletscherzunge – Fotostopp. Dann geht es weiter bis zum
Wasserfall Seljalandsfoss. Ab hier ist die Piste
asphaltiert. Den obligatorischen Fotostopp nutzen wir
nicht, da wir diesen schon tags zuvor hatten. Als ich
mir die Beine vertrete und eine Runde um unseren Jeep
drehe, sehe ich unseren Guide vor dem platten linken
Hinterrad stehen. Das sieht nicht so gut aus, denke ich
mir, denn einen Ersatzreifen in diesen Dimensionen kann
keiner mitnehmen.
Eine reichliche Stunde und einige Telefonate später: der
Reifen ist geflickt! Und wie kommt jetzt wieder Luft
hinein? Alles onboard. Motor angelassen, Luftschlauch
angesteckt, Reifen aufgepumpt. Das nenne ich wirklich
„do it yourself“. Aber hält die Luft auch? Mit mehreren
Kontrollstopps zum Prüfen des Luftdrucks erreichten wir
schließlich gegen 21.30 Uhr wieder Reykjavik. Es regnete
mittlerweile, wir hatten jetzt wirklich einen knurrenden
Magen und ein Problem, nach dem Duschen gegen 22.30 Uhr
noch ein Abendessen zu bekommen. Schließlich gelang uns
dies auch noch.
|
Bildergalerie
hochauflösender Fotos unserer Wanderung
zu den Kratern am Eyjafjallajökull. Zum
Betrachten der Aufnahmen wird eine
Bildschirmauflösung von mindestens 1600 x
1050 Bildpunkten empfohlen (sonst scrollen). |
|